Ziergarten: Schöne Fehler
Einleitung
September 2017 Oft finden sich Blüten, Blätter oder Wuchsformen, die anders aussehen als erwartet. Gärtner freuen sich darüber – und ziehen daraus sogar zuweilen eigene Sorten.
Die Natur ist erfinderisch. Das muss sie sein. Sonst liefen die verschiedenen Arten Gefahr auszusterben, weil sie sich an veränderte Umweltbedingungen nicht gut anpassen können. Es gilt in der Regel das Versuchs- und Irrtumsprinzip. Mancher Versuch, etwas Neues hervorzubringen, ist zum Scheitern verurteilt, weil das Ergebnis die Pflanze schwächt. Es sei denn, der Gärtner greift ein und unterstützt die Pflanze derart, dass sie überleben kann, weil der „Fehler“ so hübsch ist.
Verrückte Blüten nach oben
Seltsam. Da pflanzt man eine karminrote Dahlie Bild 1 oder eine gelbe mit roten Sprengseln Bild 2 – und dann erscheint ein Blütenblatt bzw. gleich der halbe Blütenstand in einer anderen Farbe. Gerade bei dieser Pflanzenart kommt das häufig vor. Dahinter steckt keine Zauberei, sondern eine große Vielfalt an Möglichkeiten: Dahlien verfügen in ihren Erbanlagen über richtig viele verschiedene Blütenformen und -farben. Deshalb gelang den Züchtern ein solch beeindruckend umfangreiches Sortiment. Pompon-Dahlien, Kaktus-Dahlien, Halskrausen-Dahlien und weitere Klassen kommen in allen Schattierungen zwischen Weiß und Dunkelpurpur, Gelb und Orange. Nur Blau hat die Pflanze nicht im Angebot. Diese Variabilität bringt mit sich, dass man schon einmal eine Knolle erwischt, bei der eine für die Züchtung verwendete Pflanze mit ihrer Blütenfarbe wieder mehr oder weniger kräftig durchschlägt.
Ähnlich ist es bei der Apfelsorte ‘Roter Boskoop’ Bild 10. Die Früchte der Ursprungssorte ‘Boskoop’ sind eher grünlich und bronzefarben überhaucht. An einem Baum tauchte ein Zweig auf, dessen Äpfel eine rote Schale entwickeln. Alle anderen Eigenschaften sind mit ‘Boskoop’ identisch. Deshalb vermehrt man die rote Variante jetzt als eigene Sorte. In dem Fall erfolgte die Veränderung zufällig. Natürlich versuchen Züchter auch gezielt, Varianten einzukreuzen. Heutzutage suchen sie vornehmlich nach Resistenzen und Geschmack, aber eben auch nach appetitlichen Schalenfarben.
Siamesische Zwillinge nach oben
Bestimmt ist Ihnen schon mal eine Blüte mit einer verbreiterten Mitte begegnet. Im Extremfall bilden sich sogar zwei Mitten aus wie bei der Anemone Bild 3 und der Sonnenblume Bild 4. Üblicherweise wachsen Triebe nur von einem Punkt an ihrer Spitze aus. In dieser Version des botanischen Kuriositätenkabinetts stehen zwei dieser Punkte nebeneinander. Je weiter diese Punkte voneinander entfernt sitzen, desto breiter die Blütenmitte, bis hin zu zwei von einander getrennten. Manchmal hat eine Pflanze sogar ganz viele Wachstumspunkte nebeneinander. Fachleute sprechen von einer Verbänderung. Deutlich wird das bei den Zweigen der Drachenweide, die eher breit und flach wachsen wie ein Band. Bei Celosien, auch als Federbusch bekannt, existiert eine ganze Sortenpalette mit verbänderten Blütenständen. Sie werden gerne – sehr passend zur Optik – Hahnenkamm-Celosien Bild 5 genannt.
Wenn Blattgrün sich rar macht nach oben
Normalerweise sind Blätter grün. Der Herbst zeigt, dass mehr Farbe in ihnen steckt: Wird das Chlorophyll als Reservestoff eingezogen, bleiben gelbe und rote Farbstoffe übrig. Wie viel wovon vorhanden ist, lässt sich züchterisch beeinflussen, was die unglaublich breite Rot- und Gelbpalette der Buntnesseln Bild 7 erklärt. Fehlen die Pflanzenfarbstoffe, erscheinen die Blätter weiß. Ein deutlicher Nachteil für die Gewächse, denn so steht weniger Fläche für die Photosynthese und somit die Produktion von Substanzen für das Wachstum zur Verfügung. In der Natur würden sich solche Experimente nicht durchsetzen: Schwächere Pflanzen bleiben auf der Strecke.
Gartenbegeisterte freuen sich über solche Launen und erhalten sie durch vegetative Vermehrung, also durch Teilen oder Stecklinge, als eigene Sorten. So bringen weiß gerandete Funkien Bild 6 und das sehr populäre Kaukasus-Vergissmeinnicht ‘Jack Frost’ Bild 8 etwas Licht an halbschattige Stellen.
Verzwergt und weich geworden nach oben
In der „Erbmasse“ der Gehölze verbergen sich unzählige Wuchsvariationen. Für Gärten besonders interessant sind langsam wachsende Minis wie die Zwerg-Fichte ‘Hexenbesen’ Bild 9. Manche wachsen kugelig, andere kissen- und kegelförmig, wieder andere bizarr. Solche vor allem bei Nadelgehölzen häufigen Phänomene entstehen durch extrem verkürztes Triebwachstum. Eine super Sache für kleine Beete und Kübel!
Als wahre Gartenskulpturen fallen Nadel- und Laubgehölze mit hängendem Wuchs auf wie Hänge-Lerche Bild 11 oder Trauerweide. Teils geben sie sich schirm- oder laubenförmig, teils ziemlich eigenwillig. Wie viele der schönen Fehler sind sie eine Bereicherung des Pflanzenangebots.